Mythos vom sterbenden Schwan Büsingen versus Daten vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg

Mythos vom sterbenden Schwan Büsingen versus Daten vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg

Anna Pavlova im Ballett Der sterbende Schwan von Camille Saint-Saëns. Museum: Staatliches Museum für Theater und Musik, St. Petersburg. - Bild-ID: P9DAB2

In der JUNGEN FREIHEIT vom 4. September 2009 wird dieser Mythos vom seinerzeitigen Bürgermeister Gunnar Lang beschworen.

Schmucke Blumengärten zieren die Häuser, in denen zumeist ältere Menschen leben. Das hat einen Grund. Seit dem Inkrafttreten der bilateralen Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz am 1. Juni 2004 sind viele Jüngere in die Schweiz gezogen. 

„Ein Problem“, sagt Gunnar Lang. Denn Büsingen ist inzwischen die Gemeinde mit dem höchsten Altersdurchschnitt in Deutschland. 

Gunnar Lang erfindet eine schöne Geschichte. Nämlich die Geschichte vom Mythos des sterbenden Schwans Büsingen am Hochrhein. Lang vermischt hier gewisse augenscheinliche Eindrücke mit Daten, die objektiv beim Statistisches Landesamt Baden-Württemberg meist auch mit den genauen Zahlen für die Schweizer Enklave Büsingen abrufbar sind - und als CVS Datei gespeichert werden können, um etwa in der Microsoft Anwendung EXCEL weiter verarbeitet werden zu können.

Zwar trifft zu, daß der Altersdurchschnitt der höchste in einer Kommune von Baden-Württemberg ist, doch ist die Bezugsgröße von rund 1.000 Einwohnern ziemlich klein, so daß jegliche Effekte deutlich durchschlagen. Nun ist es bei offenen Grenzen, sprich speziell Personenfreizügigkeit der Schweiz, wirklich keine große Sache, daß Schaffhausen mit seinen rund 85.000 Einwohnern seine Rentner mit dem 2 bis 4 Kilometer entfernten Büsingen am Hochrhein lockt. Ohne Grundsteuer, ohne Einkommensteuer auf die Rentenbezüge. Doch wie ebenso diese Daten zeigen, hat sich die magnetische Wirkung auf den Zuzug sehr schnell abgearbeitet.
Geld ist eben nicht das alleinige Merkmal für Entscheidungen, was speziell auch für die Förderung der Geburtenrate durch staatliche Unterstützung zeigt. Wie die aktuellen Erfahrungen in Polen 2019 zeigen, hat die Zahl der Geburten kaum zugenommen - trotz stattlicher 500 PLN je Kind bei einem normalen Einkommen von durchschnittlich 1500 PLN je Erwerbstätigen.
Der Wegzug der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist tatsächlich beträchtlich, gemessen im Verhältnis zur Bezugsgröße der Altersgruppen.
Doch das gleiche Bild zeigt sich auch in den anderen Kommunen vom Land Baden-Württemberg. Gründe können in erster Linie Berufsausbildung, Universität, und dann vor allem Partnersuche sein. Nicht zuletzt möchte diese Generation etwas von der Welt sehen mit vielen Gleichaltrigen im Kontakt sein. 

Grund dafür ist der Fiskus. Die meisten Berufstätigen haben ihren Arbeitsplatz in der Schweiz. Doch ihre Einkommensteuer erhält das Finanzamt in Deutschland. Weil die Abgaben in Deutschland aber weitaus höher sind, verlegt infolge des bilateralen Abkommens und der damit verbundenen Personenfreizügigkeit so mancher Büsinger seinen Wohnsitz in das Nachbarland. „Und wenn sie in Rente gehen, kommen sie wieder zurück“, meint ein Anwohner mit einem Augenzwinkern – ebenfalls aus steuerlichen Gründen. Denn bis 2004 war in Deutschland lediglich der Ertragsanteil der Rente einkommensteuerpflichtig. Auch Schweizer Rentner sind aus diesem Grund nach Büsingen gezogen, wo sie schließlich den Schweizer Wirtschafts- und Währungsraum noch nicht verlassen haben und zudem keine Vermögensteuer zahlen mußten. Selbst eine Grundsteuer wird nicht erhoben. Durch die nachgelagerte Rentenbesteuerung ab 2005 sei die Attraktivität Büsingens für die Rentner jedoch nicht mehr so hoch wie zuvor, erklärt Lang. „Etwa 70 Prozent unserer Einwohner sind Deutsche und 30 Prozent Schweizer“, verdeutlicht der Bürgermeister. Auf die Frage, ob sich die Büsinger nun als Deutsche oder doch eher als Schweizer sehen, antwortet er diplomatisch: „Als Büsinger“.